In den letzten Jahren hat sich die Vielfalt auf dem Spirituosenmarkt erfreulich ausgeweitet, kaum eine Nische, die noch nicht besetzt wurde. Was liegt damit im Jahre 2018 nahe? Definitiv nicht noch einen Gin auf den Markt zu bringen. Was hat die Truppe um Jonas Hald, Benji Stroheker und Konstantin „Coco“ Kuld mit Unterstützung von Felix Kaltenthaler gemacht? Exakt!
Letzten Donnerstag war es soweit, der Tin Gin wurde erstmals öffentlich vorgestellt. Benny und ich kennen Jonas bereits seit langen Jahren, ursprünglich über das Cocktail&Dreams-Forum. Da wollten wir uns die Markteinführung nicht entgehen lassen, die Konstellation versprach einen illustren Abend. Der Plan: Mit dem ICE nachmittags von Frankfurt gen Stuttgart, den einen oder anderen Drink nehmen und nachts um 5:00 zurück. Hat funktioniert. 🙂
Jonas, Benji und Coco gruppieren unter Tin Tin zur Zeit drei Tätigkeitsfelder: Cocktailcatering, Tin Gin und im Laufe des 2. Quartals eine eigene Bar in der Stuttgarter Innenstadt. In der eigenen Bar den selbst hergestellten Gin im Pouring zu haben und dieses Produkt von Grund auf nach Herzenslust gestalten zu können – darüber erklärt sich auch die Idee, warum denn unbedingt noch ein Gin auf dem Markt etabliert werden soll. Im Einzelhandel landet Tin Gin ggf. nur über den einen oder anderen Onlinehändler, ansonsten wird die Distribution über Facebook sowie die Bar direkt erfolgen. Kein Marketing, kein Storytelling, keine Perfect Serve-Nummern.
Felix – nicht ganz unbekannt durch Revolte Rum und langjähriger Freund der Dreien – bringt die fachliche Expertise und Ausstattung für die Produktion mit. Er stand außerdem Rede und Antwort für alle Produktionsfragen und beschrieb die Entwicklung als sehr entspannt, die Tin Tin-Gruppe hatte eine genaue Vorstellung über das Produkt und sie recherchierte im Vorfeld, aufgrund historischer Brennrezepte, welche Botanicals klassisch zum Einsatz kamen. Nach einer Testreihe mit unterschiedlichen Mischungsverhältnissen stand das finale Produkt rasch fest.
Geheimnisse gibt es nicht, kein schleierhaftes Getue um dutzende Botanicals. Verwendet werden italienischer Wacholder, Angelika- und Veilchenwurzel, griechische Grapefruits, Koriandersamen sowie Äpfel aus der Region. Die Mazeration erfolgt getrennt in 60 Vol.-% Neutralalkohol, höherprozentiger Alkohol würde zu viele Bitterstoffe lösen. Bei den Grapefruits (in Form von Zesten, per Hand wurden für den ersten Batch von 500 Flaschen 10 Kilogramm(!) davon produziert) geschieht dies in einer Kühlkammer, um den Prozess besser kontrollieren zu können. Die Äpfel werden lediglich kleingeschnitten und ansonsten unverändert eingelegt.
Die Destillation erfolgt im Anschluss ebenfalls getrennt in einer Kolonnendestille, die drei Böden sind alle hochgeklappt, da nur die Aromenintensivierung und keine – bedingt durch die bereits hochprozentige Basis – stärkeren Volumenprozente gewünscht sind. Die Destille ist übrigens nicht die für Revolte verwendete Brennanlage. Nach der Destillation erfolgt mit Heppenheimer Quellwasser das Herabsetzen auf Trinkstärke von 48 Vol.-% sowie Abfüllung und Etikettierung. Kein Nachzuckern oder ähnliche Anpassungen. Perfekt zum Produktkonzept, der Offenheit und dem (Nicht)Marketingansatz passt letztendlich der Preis – 23.80€ für 0.7l. Diese Flaschengröße zu diesem Preis verdient in Zeiten von in Auftrag produzierten „Winzergins“ für 35€ bei einem halben Liter Inhalt, bei denen der angebliche Produzent nicht das geringste über sein Produkt weiß, leider besondere Aufmerksamkeit!
Der Gin gibt sich sehr floral ohne jegliche alkoholische Schärfe, zunächst schlagen Grapefruit und Veilchen intensiv durch, der Wacholder nimmt sich zurück. Nach einiger Zeit erscheint Angelikawurzel mit gewissen erdigen Noten und spielt mit der Grapefruit ein schönes Duett. Nach dem ersten Schluck glaubt man abermals nicht, dass hier 48 Vol.-% vorliegen sollen. Perfekt abgestimmt stehen auch hier zunächst Zitrusnoten im Vordergrund, Wacholder und Koriandersamen bilden das minimal süßliche Rückgrat, welches beständig mitschwingt, sich jedoch nie aufdrängt. Besonders den Koriandersamen – mich erinnert er immer an leicht exotische Küche – würde ich ohne Wissen um die Botanicals nicht herausschmecken. Den Nachklang prägen Apfel und Veilchen, ganz am Ende wieder die Angelikawurzel.
Tin Gin ist sicherlich kein Produkt, welches ohne Adaption als klassischer Gin in allen Cocktails funktioniert. Das muss auch gar nicht sein. Denn dafür ist die Umsetzung so gut, so ausgewogen, dass sich eine achtsame Drinkauswahl und die Justierung an die Spirituose lohnen. Der Aviation fiel mir beispielsweise am Donnerstag sofort ein:
Aviation
- 6.5cl Gin (Tin Gin)
- 2cl Zitronensaft (frisch gepresst)
- 1cl Maraschinolikör (Luxardo)
- 1BL Crème de Violette (TBT)
- Cocktailkirsche (als Dekoration)
Alles auf Eis shaken, in vorgekühltes Coupetteglas strainen, Deko.
Einige Sorge hatte ich im Vorfeld, dass der Cocktail eventuell zu floral, zu leicht werden könnte. Keineswegs. Die Balance von Süße und Säure ist im Aviation immer etwas schwierig, gelingt hier aber ausgezeichnet. Die minimale Süße des Tin Gins sorgt für einen Ausgleich, die Veilchenaromen unterstützen sich gegenseitig, Grapefruit und Maraschinolikör harmonieren. Kurzum: Traumhafte Kombination, hier spielt der Gin seine volle Stärke aus.
Jonas, Benji, Coca haben es in Zusammenarbeit mit Felix tatsächlich geschafft, 2018 einen Gin mit Mehrwert auf den Markt zu bringen. Ehrlich und sauber produziert, sinnvoll kombinierte Botanicals, nicht zuletzt ein umwerfendes Preis-/Leistungsverhältnis – das Gesamtpaket überzeugt voll.